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Wo die Körper im Interieur verschwinden

„Home is the place you left“ – inszenierte Fotos von Conny Habbel in der Sigismundkapelle

 Von Helmut Hein

Angst oder Sehnsucht setzen voraus, dass man nicht „bei sich“ ist. Dass man panisch oder lustvoll von einem Ort, einer Identität oder einem Leben angezogen wird, die, das gehört zum Paradox des Schreckens wie des Begehrens, nur in unserer Imagination anwesend sind. Jede Perspektive auf das eigene Dasein und die (realen, symbolischen oder imaginären) Räume, die zu diesem Dasein gehören, es „füllen“, setzt Distanz, „Bruch“, Entfremdung voraus. Ein Verloren-Sein oder Verloren-Haben. Das ganz Nahe kann man überhaupt nicht wahrnehmen. Das, womit man verschmilzt, verschwindet.

Conny Habbel, eine Regensburgerin, die jetzt in Wien lebt, gehört zum Typus des „gelehrten“ Künstlers. Sie kennt Freud und Lacan. Ihren Arbeiten fehlt alles Naive oder Spontane. Die Fotos sind performativ, also inszeniert. Ins Bild gerückt wird stets eine Variation oder ein Fragment des eigenen (verlassenen) Lebens. Meist – und bei „Home is the place you left“ immer – ist Conny Habbel ihr eigenes Modell; der Körper, in dem sich eine Phantasie-Welt verpuppt.

Das könnte an die Amerikanerin Cindy Sherman und ihre „film-stills“ erinnern. Das Verfahren ist ähnlich, Voraussetzungen und Resultate der erinnerten bzw. in Szene gesetzten In-Bilder sind aber radikal anders. Bei Cindy Sherman überwiegen die Kritik, der Wille zur Dekonstruktion eines (medial) vorgegebenen Frauenbilds, die oft anarchische Lust am Ausbruch, die morbide oder zerstörerische Züge annehmen kann.

Conny Habbel dagegen leidet – und zwar stellvertretend für ihre Generation, wie sie nicht müde wird, zu betonen – am Verlust und Verschwinden der Ur-Szenen und Ur-Bilder. Die um 1980 Geborenen müssen sich nicht (mehr) befreien, sie müssen mit ihrer Freiheit und den auch materiellen Unsicherheiten des Lebens fertigwerden.

Bei Cindy Sherman nimmt die regressive Sehnsucht unheimliche Züge an; das Idyll erscheint als Zentrum einer dämonologischen Weltsicht. Conny Habbel erkennt, dass das Verlangen nach „Heimat“ von Anfang an vergeblich ist, dass es eine heile Natur (oder „Familie“) nie gab; dass selbst der Gedanke eines „Bruchs“ schon falscher Trost ist, weil die ursprüngliche Identität, das Eins-Sein am Anfang der (Lebens-)Zeit Illusion ist. Subjekt-Sein heißt Zerrissen-Sein, könnte man die Lacan’sche Formel zusammenfassen, die sie in Bilder übersetzt.

Die Conny-Habbel-Personae, denen man in der strengen Wildnis des elterlichen Hauses begegnet, sind an den Rand gedrängt und auf diverse Weisen vom Verschwinden bedroht. Der symbiotische Wunsch nimmt zerstörerische Züge an. Habbel lehnt im Treppenhaus dicht an der Wand. Man sieht nur das schwarze Kleid, den Nacken, den Haarschopf; das Gesicht, also alles „Persönliche“, ist gelöscht. Das Stehen an der Wand erinnert an eine Straf- oder Scham-Aktion. „Schäm dich!“ heißt der Appell der anderen, zumal der Autoritäten, wenn man zu eigen war. In anderen Bildern verschwindet Habbel im Interieur; die Gestalt- oder Identitäts-Wahrnehmung ist mühsam und sekundär. Die in die Familie zurückgekehrte Frau will mit dem Teppich-Muster verschmelzen oder verwandelt den eigenen Körper, die „Figur“, in sich verkrümmt auf dem Klavierstuhl hockend, selbst in ein Ornament, eine schmückende, aber leblose „Sache“. Performativ heißt freilich auch: Es findet hier und jetzt statt; der Körper und sein Sträuben sind Teil der Szene, das inerte Fleisch macht jeden Plan und jede Ordnung zuschanden. Sexualität – gerade im Kontext der „Familienbande“ hochexplosiv! – und Tod sind subversive Re-Aktionen; sie fügen sich nicht.

(Mittelbayerische Zeitung, 19.05.10)