Buddenbrooks. Verfall einer symbolischen Ordnung
Thomas, Tony und Christian Buddenbrook im Lichte der Psychoanalyse Jacques Lacans
„‚Mir ist, als ob mir etwas zu entschlüpfen begönne, als ob ich dieses Unbestimmte nicht mehr so fest in den Händen hielte, wie ehemals ...’“ , erklärt Thomas Buddenbrook, achtunddreißigjährig, seiner Schwester Tony. Doch worum handelt es sich bei diesem „Unbestimmten“, das dem derzeitigen Familien- und Firmenoberhaupt der Buddenbrooks zu „entschlüpfen“ droht? Wie kommt es überhaupt dazu, und was wäre die Folge, sollte es Thomas nicht gelingen, dieses Etwas wieder so fest in den Griff zu bekommen, „wie ehemals“? Thomas Manns Roman Buddenbrooks. Verfall einer Familie (1901) erzählt außerdem vom leidenschaftlichen Schwärmen Tony Buddenbrooks für Atlasschleifen, von der zunehmenden Erpichtheit Thomas’ auf eine tadellose Garderobe und von Christian Buddenbrooks Neigung, allzu offen Details über sein Befinden preiszugeben. Sind dies alles einfach bunte Merkmale, die den Roman und seine Figurenzeichnung lebendig machen? Oder herrscht zwischen den beschriebenen Phänomenen ein kausaler Zusammenhang?
Es lohnt sich, in dieser Frage jenes Instrumentarium heranzuziehen, das die strukturale Psychoanalyse Jacques Lacans bereithält. Mit ihm stellen sich die angeführten Merkmale keineswegs nur als akzidentielle Eigenschaften der Figuren heraus, sondern scheinen vielmehr einem ausdifferenzierten Konzept zu folgen. Mithilfe Lacans lässt sich dieses entschlüsseln und freilegen. Blickt man etwa auf die Buddenbrooks aus der Perspektive der drei Lacanschen Dimensionen – des Symbolischen, des Imaginären und des Realen – so zeigt sich, dass das, was der Familie und ihrem Oberhaupt zunehmend abhanden kommt, als ihre symbolische Ordnung gelesen werden kann. Der vorliegenden Arbeit liegt die Frage zugrunde, was aus einem Lacanschen Blickwinkel zu dieser Entwicklung führt und welche Funktion die Romanfiguren Thomas, Tony und Christian hierbei einnehmen. Die oben genannten Phänomene, sowie weitere Charakterisierungen der Figuren sollen dabei in einen möglichen Erklärungszusammenhang gebracht werden.
